Der Bundesgerichtshof korrigiert seine Sichtweise zur Auslegung bei „Aufforderungsbeschlüssen“
Besprechung zu BGH V ZR 215/21 vom 21.7.2023
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und auch aller Instanzgerichte haben die Wohnungseigentümer keine Beschlusskompetenz für die Be-gründung von Leistungspflichten außerhalb der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten. Die oftmals anzutreffenden Beschlüsse, wonach der Eigentümer x verpflichtet würde, diese oder jene bauliche Veränderung zurückzubauen, waren nach bisheriger Rechtsprechung des BGH alle nichtig, denn es fehlte die Beschlusskompetenz.
Nun könnte man ja aber auf die Idee kommen, diese Beschlüsse auch wohlwollend auszulegen. Denn die Eigentümer wollen ja keine unwirksamen Beschlüsse über etwas fassen, was sie gar nicht beschließen können. Man könnte also auf die Idee kommen, den Beschluss dahingehend auszulegen, dass gar keine Begründung einer Pflicht gewollt sei. Vielmehr könnte man darin auch einfach den Willen der Eigentümer sehen, den Eigentümer X auf sein vermeintliches Fehlverhalten hinzuweisen und ihn mit diesem Beschluss zum Rückbau aufzufordern. Denn für eine solche Aufforderung besteht natürlich eine Beschlusskompetenz. In einer älteren Entscheidung aus dem Jahre 2010 hatte der BGH einer solchen Auslegung aber eine Abfuhr erteilt. Er hatte im konkreten Fall geschrieben, dass eine solche Überlegung naheliege, aber nicht dazu zwinge, ein dort mit einem Beschluss der Wohnungseigentümer ausgesprochenes beschränktes Vermietungsverbot entgegen dem eindeutigen Wortlaut als bloße Androhung gerichtlicher Maßnahmen zu verstehen.
Von dieser starren und ein wenig lebensfremden Auslegung ist der BGH jetzt abgerückt und hat sich selbst von seiner eigenen Entscheidung distanziert: Es sei den Wohnungseigentümern gestattet, durch Beschluss ihren Willen darüber zu bilden, ob sie bestimmte Nutzungen oder bauliche Veränderungen für unzulässig hielten; dabei dürften sie einzelne Wohnungseigentümer zu einem dem Beschluss entsprechenden Verhalten, also etwa – wie hier – zu einer Unterlassung der Wohnnutzung einer Garage oder zu einem Rückbau einer Terrasse, auffordern. Dies entspräche nächstliegender Auslegung eines solchen Beschlusses. Es könne nämlich nicht angenommen werden, dass die Wohnungseigentümer eine nicht ihrer Beschlusskompetenz unterliegende Unterlassungs- oder Leistungspflicht eines anderen Wohnungseigentümers mit konstitutiver Wirkung begründen und auf diese Weise einen nach der Rechtsprechung des Senats nichtigen Beschluss fassen wollten, dessen Inhalt mit Blick auf die Durchsetzung der Unterlassungs- oder Leistungs- bzw. Beseitigungspflicht mangels Titulierung nicht einmal vollstreckbar wäre. Sie könnten einzelnen Wohnungseigentümern dabei nicht nur rechtlich unbedenklich eine Frist zur Herbeiführung des als rechtmäßig erachteten Zustands setzen, sondern auch allgemein eine Aufforderung zur Unterlassung oder Beseitigung aussprechen. Würde dies dem Wortlaut nach als Ge- oder Verbot beschlossen, sei darin nächstliegend ein solcher Aufforderungsbeschluss zu sehen; daraus könne bei objektiv-normativer Auslegung nicht auf die Intention geschlossen werden, Unterlassungs- oder Leistungsverpflichtungen konstitutiv zu begründen und auf diese Weise einen nichtigen Beschluss zu fassen.
Und dann kommt der entscheidende Satz des Urteils: „Soweit die Entscheidung des Senats vom 15. Januar 2010 (V ZR 72/09, NJW 2010, 3093 Rn. 10) anders zu verstehen ist, wird daran nicht festgehalten. „
Eine absolut weise Entscheidung des BGH.