BGH Urteil vom 11.4.2025 – V ZR 96/24
“Der Beschluss über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse kann teilweise angefochten bzw. für ungültig erklärt werden. Vorauszusetzen ist, dass die Abrechnungsspitze eine rechnerisch selbstständige und abgrenzbare fehlerhafte Kostenposition enthält und anzunehmen ist, dass die Wohnungseigentümer den Beschluss auch mit dem unbeanstandet gebliebenen Teil gefasst hätten.”
Anmerkung: Wie der BGH in seinen Entscheidungsgründen selbst ausführt, war der überwiegende Teil der Literatur und der Rechtsprechung der Ansicht, dass es eine Teilanfechtung von “Jahresabrechnungen” bzw, jetzt der Beschlüsse nach § 28 Abs. II WEG n.F. über die Anpassung der Vorschlüsse etc. nicht mehr geben könne. Die Begründung: Es würde ja nur ein “Betrag” beschlossen, der entweder nachgefordert oder zurückerstattet werden müsse. Da sei für eine Teilanfechtung kein Platz.
Ja, zugegeben, es gab auch eine Gegenansicht. Und dieser schließt sich der BGH jetzt an. Über die Begründung kann man streiten, insbesondere stört mich als Rechtsanwalt, der ja auch ein Wirtschaftsbetrieb ist, die Überlegung des BGH zu den Kostenvorteilen einer Teilanfechtung; der BGH sagt dazu: “Hierfür streitet auch das Interesse der Wohnungseigentümer und der GdWE, den Streitwert und damit die Kosten eines Rechtsstreits über die (Un-)Gültigkeit des Beschlusses in angemessenem Rahmen zu halten (zur Jus-tizgewährungspflicht vgl. BVerfGE 85, 337). Ginge man von einer Unteilbarkeit des Beschlusses über die Einforderung von Nachschüssen oder Anpassung beschlossener Vorschüsse aus, wäre ein Wohnungseigentümer unabhängig von der Höhe seiner Beanstandungen gezwungen, den Beschluss in jedem Fall in Gänze anzufechten. Der Streitwert richtete sich dann gemäß § 49 GKG nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung, begrenzt lediglich durch den siebeneinhalbfachen Wert des auf den Kläger entfallenden Anteils hieran oder den Verkehrswert seines Wohnungseigentums.”
Was glaubt der BGH eigentlich, wie ein anwaltlicher Wirtschaftsbetrieb funktionieren kann und soll. Ja, natürlich ist der Streitwert bei einer Teilanfechtung kleiner. Beispiel: Fechte ich den kompletten Abrechnungsbeschluss an und entfallen auf den anfechtenden Eigentümer Kosten von 2.000 EURO, liegt der Streitwert bei EURO 15.000; das ist nach gesetzlichen Gebühren auskömmlich. Ist Grundlage der Anfechtung aber, wie in diesem Verfahren, eine fehlerhafte Buchung von EURO 10.000, auf die z.B. auf den anfechtenden Eigentümer nur ein Teilbetrag von EUROO 200,00 entfällt, habe ich einen Streitwert von EURO 1.500,00. Das führt nach dem aktuellen RVG zu Gebühren von EURO 356,25 netto. Jetzt gehen Sie mal davon aus, dass alleine die Besprechung mit dem Mandanten die erste Stunde dauert. Dann sortiere ich die Unterlagen aus der Besprechung, ich formuliere die Anfechtungsklage. Das ist die nächste Stunde. Dann kommt irgendwann die Replik und der Verhandlungstermin. Zeitaufwand also irgendwo bei 5 Stunden. Das führt zu einem Stundensatz irgendwo bei 70 EURO netto. Im besten Fall. Im schlimmsten Fall gibt es nämlich noch Schriftsatzfristen, weitere Schriftsätze und vielleicht einen weiteren Verhandlungstermin, und sei es nur, weil bei einem der Hamburger Amtsgerichte die Besetzung der Abteilung wieder einmal gewechselt hat. Aber ganz deutlich: Für EURO 70,00 kann ein Rechtsanwalt heute nicht arbeiten. Auch wir bezahlen unsere Angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Backoffice, wir haben Bürokosten und Versicherungen. Zieht man das alles ab, dann arbeitet der Rechtsanwalt im vorliegendne Fall für einen Stundensatz irgendwo kurz über dem Mindestlohn – und zwar vor Steuern, Krankversicherung und Versorgungswerk.
Übrigens: Geben Sie Ihren PKW mal zur Reparatur in eine Fachwerkstatt. Sie werden keinen Fachbetrieb finden, der für EURO 70,00 die Stunde arbeitet.
Wenn der BGH das Kostenargument also auch mit dem Justizgewährungsanspruch begründet, sollte er auch im Blick behalten, dass dieser Anspruch ins Leere läuft, wenn sich irgendwann keine Anwälte oder Anwältinnen finden, die das Mandat übernehmen werden. Es mutet irgendwie skurril an, dass hochdotierte Richter (mit entsprechenden lebenslangen Pensionsansprüchen) sich dafür aussprechen, die Kosten des Zivilprozesses gering zu halten.
RA Dr. Patrick Kühnemund