Anmerkung zu LG Frankfurt a.M. vom 16.2.2023 – 2-13 S 79/23
Sog. Absenkungsbeschlüsse sind ein Novum, die wir der Reform durch das WEMoG zu verdanken haben. Einzelheiten insgesamt zu diesem “Beschluss” finden Sie in einem älteren Beitrag hier.
Immer noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob ein solcher Absenkungsbeschluss eigentlich isoliert angefochten werden kann, aber es gibt jetzt erste landgerichtliche Entscheidungen.
Nehmen wir folgenden Fall: Die Eigentümer wollen einen neuen Gartenzaun errichten. Es liegen zwei Angebote vor. Die Eigentümer beschließen, dass der Verwalter ein weiteres Angebot einholen soll und über die Frage, welche Firma dann beauftragt wird, in einem schriftlichen Umlaufbeschluss, bei dem die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreichen soll, entschieden wird (das ist der sog. Absenkungsbeschluss). Ein Eigentümer findet das “empörend” und fragt sich, ob man diesen “skandalösen” Beschluss nicht anfechten könne oder sogar müsse.
Nein, dieser Beschluss ist wohl nicht isoliert anfechtbar. Der Eigentümer muss warten, bis der Umlaufbeschluss über die Beauftragung eines Handwerkers mehrheitlich gefaßt worden ist. Dann kann er diesen Beschluss anfechten. Und dort wird dann auch geprüft werden, ob der Absenkungsbeschluss überhaupt wirksam war. So sieht es jedenfalls eine breite Meinung in der Literatur, und auch die Rechtsprechung scheint dem jetzt so folgen zu wollen (siehe auch AG Hamburg-St. Georg vom 2.9.2022).
Das Landgericht Frankfurt begründet seine Entscheidung vom 165.2.2023 sehr ausführlich und weist auf kaum zu lösende prozessuale und dogmatische Probleme hin, wenn man eine isolierte Anfechtung des Absenkungsbeschlusses zulassen wollte. Das Landgericht sagt dazu im Einzelnen:
“Nach Auffassung der Kammer sprechen gegen eine Anfechtbarkeit von Absenkungsbeschlüssen zudem praktische Erwägungen. Im Regelfall werden Umlaufbeschlüsse kurz nach der Beschlussfassung auf der Versammlung umgesetzt, so dass ein abgeschlossenes Anfechtungsverfahren vor Realisierung des Umlaufverfahrens ein seltener Ausnahmefall sein dürfte, zumal die Anfechtung des Absenkungsbeschlusses dessen Umsetzung nach § 23 Abs. 4 S. 2 WEG ohnehin nicht hindert. Eine Aussetzung des Absenkungsbeschlusses im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes wird, von extremen Ausnahmen abgesehen, nicht vorkommen. Praktische Relevanz für das von der Wohnungseigentümergemeinschaft durchzuführende Beschlussverfahren im Umlaufwege wird daher eine isolierte Anfechtung des Absenkungsbeschlusses nicht haben. Auch dies zeigt, dass ein Rechtschutzbedürfnis für derartige Anfechtungsverfahren nicht besteht.
Hält man hingegen bereits den Absenkungsbeschluss für anfechtbar, stellen sich komplexe und kaum lösbare Fragen dahingehend, wie die Anfechtung des Absenkungsbeschlusses und des materiellen Beschlusses praktisch zu verknüpfen sind (deutlich Bärmann/Dötsch § 23 Rn. 228). Relevant ist zunächst, ob das Anfechtungsverfahren bezüglich des später gefassten Beschlusses auszusetzen ist, bis eine rechtskräftige Entscheidung über die Verfahrenswahl getroffen wurde, was zu einer erheblichen, durch den Instanzenzug idR mehrjährigen, Verfahrensverzögerung führen würde. Bereits dies steht aus Gründen der Prozessökonomie und des effektiven Rechtschutzes der Idee einer notwendigen Mehrfachanfechtung entgegen. Auf diese Weise würde das Rechtschutzbedürfnis des Klägers unterlaufen, indem durch den Streit über Verfahrensfragen (der zulässigen Beschlussfassung im vereinfachten Umlaufverfahren) eine materielle Entscheidung über den Beschluss verhindert wird. Hinzu kommt, dass durch den Zeitablauf selbst im Falle eines Obsiegens des Anfechtungsklägers Folgenbeseitigungsansprüche praktisch unmöglich gemacht werden.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass bereits die Anfechtungsgründe für den Absenkungsbeschluss sich nur selten von dem materiellen Beschluss trennen lassen werden und es daher prozessunökonomisch zu Doppelungen bei der Anfechtungsbegründung kommen muss, woraus Unsicherheiten bei dem gerichtlichen Prüfungsprogramm folgen. Häufig wird eine Prüfung des Absenkungsbeschlusses ohne Inzidentprüfung des materiellen Beschlusses nicht möglich sein. Deutlich wird dies hier etwa an dem im vorliegenden Fall – allerdings erst im Berufungsverfahren und damit außerhalb der Frist des § 45 WEG- vorgebrachten Einwand, dass durch die Verlagerung der Beschlussfassung in das Umlaufverfahren eine Diskussion über die etwa in TOP 8 erhaltenen Erhaltungsmaßnahmen, vermieden werden sollen und damit den Klägern, als Minderheitseigentümern, Mitbestimmungsrechte abgeschnitten werden (in diese Richtung auch die Kritik an der Norm von MüKoBGB/Hogenschurz, 9. Aufl. 2023, WEG § 23 Rn. 62). Die mit derartigen Einwänden zusammenhängenden Fragen werden sich bei einer isolierten Prüfung des Absenkungsbeschlusses abstrakt, ohne Betrachtung des später gefassten Beschlusses, nicht beurteilen lassen. Gelegentlich wird es sogar auf den genauen Inhalt des im Rahmen des Absenkungsbeschlusses gefassten Beschlusses ankommen, um beurteilen zu können, ob zur Wahrung der Rechte des Anfechtenden eine (erneute) Befassung der Eigentümerversammlung alleine sachgerecht wäre. Dies spricht deutlich gegen eine isolierte Anfechtung von Absenkungsbeschlüssen.
Zudem stellt sich die mit der bisherigen Dogmatik unlösbare Frage, welche Rechtsfolgen eine Ungültigerklärung des Absenkungsbeschlusses haben soll. Wäre damit in jedem Fall der materielle Beschluss fehlerhaft, so dass dessen Anfechtung in jedem Falle Erfolg hat? Würde der Erfolg der Klage sogar soweit gehen, dass dem materiellen Beschluss auch dann die Rechtsgrundlage entzogen würde, wenn er selbst gar nicht angefochten wurde? Oder besteht ein Rechtschutzbedürfnis für die Anfechtung des Absenkungsbeschlusses nur dann (fort), wenn auch der materielle Beschluss angefochten wird? Letzteres könnte, wenn der Absenkungsbeschluss nicht zeitnah umgesetzt wird (dazu Zschieschack NZM 2022, 863, 868), zu unnötigen (erstinstanzlichen) Anfechtungsverfahren gegen den Absenkungsbeschluss führen.”