Was ist jetzt mit den Vergleichsangeboten – weicht der BGH tatsächlich seine Rechtsprechung auf ?

Anmerkung zur Entscheidung des BGH vom 10.2.2023 – V ZR 246/21

Der geschätzte Kollege Dr. Schmidt aus Hamburg leitete einen Beitrag auf der Plattform linkedin mit den Worten ein, man könne aufatmen, der BGH weiche die drei-Angebote-Regel auf. Ist dem so, oder ist diese Überschrift nur “clickbaiting”?

Ausgangspunkt ist die o.g. Entscheidung des BGH, in der es eigentlich um ganz andere Themen ging. Aber während der BGH sich manches Mal um klare Aussagen drückt, mit dem Hinweis, dass müsse hier und jetzt nicht entschieden werden, hat er hier zur Rn. 15 der Entscheidung tatsächlich mal so eben im Vorbeigehen eine interessante Äußerung “fallen lassen”: Sinngemäß sagt der BGH, dass eine Beschlussfassung über eine umfangreichere Ehrhaltungsmaßnahme auch dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen könne, wenn zwar nur ein Angebot vorliege, “der Grund aber nachweislich darin liegt, dass trotz ausreichender Anfragen keine weiteren Angebote abgegeben wurden”.

Damit scheint der BGH der Tatsache Rechnung tragen zu wollen, dass es bekanntermaßen schwierig für die Verwalter ist, tatsächlich immer drei Vergleichsangebote zu erhalten. Der BGH gibt damit den Instanzgerichten ein wenig Freiheit, allerdings dürften die Hürden hoch liegen:

  • Es muß eine ausreichende Nachfrage stattgefunden haben. Was ist das, reichen 4 Anfragen, oder müssen es 10 sein. Wie groß muss ich den Radius ziehen?
  • Und im Prozess muss die Gemeinschaft “nachweisen”, also beweisen, dass eine ausreichende Anzahl an Anfragen stattgefunden hat.

Diese “Freiheit” bei der Rechtsfindung wird natürlich zu erheblicher Unsicherheit in der Instanzrechtsprechung führen. Wann hat eine ausreichende Nachfrage stattgefunden? Reicht es auf Sylt, wenn ich die dort ansässigen Unternehmen anfrage, oder muss ich sogar bis nach Flensburg telefonieren? Und wie ist es in Buxtehude (siehe meinen vorgehenden Eintrag). Reicht es, wenn ich dort bis nach Stade telefoniere, oder darf es auch noch Harburg sein?

Und letztlich muss die WEG nachweisen können, dass es diese Anfragen gegeben hat. Im Fall des AG Buxtehude reichte es dem Gericht, dass die Sachbearbeiterin als Zeugin sich erinnerte, “vier bis fünf Telefonate” geführt zu haben. Ob das immer so ausreicht?

Jedenfalls können sich Gemeinschaften in Zukunft nicht nur auf das Amtsgericht Buxtehude, sondern auch auf den BGH beziehen, wenn die Verwaltung keine drei Vergleichsangebote beschaffen kann. Und ein anfechtender Eigentümer muss immer befürchten, dass im Anfechtungsprozess plötzlich zahlreiche EMails der Verwaltung an Handwerker vorgelegt werden, auf die es keine Rückmeldungen gegeben habe.

Und um den Kreis zu schließen: Ja, ein wenig weicht der BGH die Rechtsprechung auf. Man könnte sagen: Es müssen in der Regel drei Angebote vorliegen, es sei denn, diese waren nicht zu erlangen.