Aktuelle Entscheidung des LG Hamburg zu “positiven Negativbeschlüssen” und zur Beschlussersetzung

LG Hamburg 318 S 73/19, Urteil vom 20.12.2023 (bisher nicht veröffentlicht)

Frisch aus dem beA haben wir eine aktuelle Entscheidung des LG Hamburg zu drei interessanten Themen. Hier haben wir für unsere Mandanten nach über fünf Jahren einen hochgradig emotional geführten Rechtsstreit gewonnen.

Zusammengefasst entscheidet das LG folgendes:

1. Ein Beschluss, mit dem die Wohnungseigentümer beschließen, etwas nicht zu tun, ist kein Negativbeschluss, sondern ein Positivbeschluss (anders bei der Ablehnung eine Beschlussantrages, einem sog. echten Negativbeschluss).

2. Eine Beschlussersetzungsklage ist begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den  seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss hat, weil nur eine Beschlussfassung  ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung und damit auch in Übergangsfällen – wie hier – auf das neue materielle  Recht.

3. Das  Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschlussersetzung fehlt trotz fehlender Vorbefassung aber immer dann nicht, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen  werden kann, dass der Antrag in der Eigentümerversammlung nicht die erforderliche Mehrheit  finden wird, so dass die Befassung der Versammlung eine unnötige Förmelei wäre.

(Leitsatz 1. des Verfassers, Leitsätze 2. und 3. aus dem Urteil)

Nachfolgend finden Sie das in den entsprechenden Passagen anonymisierte Urteil im Volltext:

Auf die Berufung der Kläger zu 1) und zu 2) wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Blankenese vom 10.07.2019, Az. 539 C 30/18, abgeändert und wie folgt neu  gefasst:

Der Beschluss zur laufenden Nr. 84.2 der Eigentümerversammlung vom 21.11.2018 wird  für ungültig erklärt.

Der Beschluss zu TOP 84.2 der Eigentümerversammlung vom 21.11.2018 wird durch folgenden Beschluss ersetzt:

Die Wohnungseigentümer beschließen im Sinne eines Grundlagenbeschlusses, einen  Rechtsanwalt mit der Prüfung der Sach- und Rechtslage zu beauftragen im Hinblick auf  etwaige Mängelgewährleistungsansprüche und/oder Schadensersatzansprüche der  Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegenüber den an der Sanierung des Daches  des Objekts F….beteiligten Gewerken, der …… Architekten  GmbH und der damaligen Verwalterin …….

Der Verwalter wird angewiesen, sich von der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer drei Rechtsanwälte mit der Zusatzqualifikation „Fachanwalt für Baurecht“ vorschlagen zu lassen und bei diesen ein Angebot einzuholen für die Prüfung der Sach- und Rechtslage  im Hinblick auf die oben genannten etwaigen Ansprüche. Sobald die drei Angebote vorliegen, soll der Verwalter unverzüglich eine außerordentliche Versammlung einberufen mit dem Tagesordnungspunkt der Beauftragung eines Rechtsanwaltes. Im Zuge dessen ist auch über die Kosten und die Finanzierung zu beschließen.

2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der noch streitgegenständliche Beschluss zu der laufenden Nummer 84.2 hat den folgenden  Wortlaut:

„Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes namens und in Vollmacht der  Wohnungseigentümergemeinschaft zur Verfolgung von Mängelgewährleistungs- und  Schadensersatzansprüchen gegenüber den verantwortlichen Bauunternehmern und dem  Architekten wird abgelehnt.“

Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.07.2019 abgewiesen und seine Entscheidung  wie folgt begründet:

Obwohl der Beschluss zur Nummer 84.2 als Positivbeschluss gefasst worden sei, sei er nicht  anders zu behandeln als ein echter Negativbeschluss, der keinerlei Sperrwirkung für die Zukunft habe. Bereits die zugrundeliegenden Erwägungen der Eigentümermehrheit zeigten, dass man nur von einer sofortigen Beauftragung eines Anwalts Abstand nehmen wollte, um die Fortsetzung der Instandsetzungsarbeiten nicht zu gefährden. Selbst wenn man dies anders sähe, hätten die Kläger bei veränderter Sachlage einen Rechtsanspruch auf einen Zweitbeschluss.

Im Rahmen der Beschlussanfechtung sei für die Beurteilung der Ordnungsgemäßheit einer beschlossenen oder nicht beschlossenen Verwaltungsmaßnahme auf die im Zeitpunkt der  Beschlussfassung zugrundeliegenden Verhältnisse abzustellen. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 21.11.2018 hätte zwar über www.insolvenzbekanntmachungen.de in  Erfahrung gebracht werden können, dass mit Beschluss vom 21.06.2018 ein vorläufiger  Insolvenzverwalter über das Vermögen der Dachdeckerfirma …….eingesetzt  worden war. Das Insolvenzverfahren sei aber erst nach der Auftragserteilung am 01.09.2018 eröffnet worden. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung sei für die abstimmenden Wohnungseigentümer nicht überprüfbar gewesen, ob alle Angaben des Dachdeckermeisters…… zum Bestehen einer Betriebshaftpflichtversicherung bei der…. Versicherung zutreffend  gewesen seien oder nicht. Die Gemeinschaft sei nicht verpflichtet gewesen, am 21.11.2018 die aus objektiver Sicht „beste Maßnahme“ zu beschließen. Das Gericht habe einen gewissen Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum der Eigentümer zu akzeptieren. Es habe als Kontrollinstanz lediglich zu überprüfen, ob die Mehrheit aus damaliger Sicht eine vertretbare  Entscheidung getroffen habe. Das sei hier der Fall. Es habe im Ermessensbereich der Gemeinschaft gelegen, am 21.11.2018 zu entscheiden, ob bereits zum damaligen Zeitpunkt gutes Geld hinter möglicherweise schlechtem Geld hinterhergeworfen werden solle. Eine Ermessensreduzierung auf null habe jedenfalls nicht vorgelegen. Gegenüber der insolventen  ….. GmbH sei mit einiger Wahrscheinlichkeit das komplette Nichtstun die ideale Lösung. So werde vermieden, beim Insolvenzverwalter möglicherweise schlafende Hunde zu wecken, da nicht zweifelsfrei feststehe, ob Zahlungen an den ausführenden Handwerker … schuldbefreiende Wirkung gegenüber dem Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes hätten. Die  Gemeinschaft könne auch vor Einschaltung eines Anwalts erst einmal durch eine  Wirtschaftsauskunftei prüfen lassen, ob eventuell zu titulierende Forderungen gegen den  ausführenden Handwerker …. später erfolgreich zu vollstrecken sein würden. Das anwaltliche Vorgehen gegen Unternehmer, Architekten und/oder den WEG-Verwalter sei allenfalls  Ultima Ratio.

Auch eine Beschlussersetzung scheide aus den vorgenannten Gründen aus. Außerdem sei der Beschlussersetzungsantrag zu unbestimmt. Zwar sei das Begehren zu Recht auf Ansprüche der WEG eingegrenzt, allerdings sei zu beanstanden, dass von einer „Sanierung des Daches der WEG“ die Rede sei. Selbst wenn man den Begriff der Sanierung weit verstehe, hätte der Beschlussersetzungstext „die Sanierung des Daches“ jedenfalls auf bestimmte Bauverträge reduziert werden müssen. Des Weiteren gebe es auch kein Dach der WEG.  Die Wohnungseigentümergemeinschaft sei ein in Teilbereichen voll rechtsfähiges Gebilde im Sinne  des § 10 Abs. 6 WEG, habe aber keinerlei dinglichen Rechte. Vielmehr stehe das gemeinschaftliche Eigentum den Sondereigentümern zu. Des Weiteren sei die Formulierung „insbesondere den involvierten Handwerksfirmen“ unklar. Das sei für einen künftigen Erwerber problematisch, da Beschlüsse nach Grundbuchgrundsätzen ausgelegt werden müssten. Im Übrigen sei der Begriff der Handwerksfirma ungenau, da es lediglich der Handelsname sei und nicht das Unternehmen selbst. Auch soweit Schadensersatzforderungen „gegenüber dem Architekten“ geltend gemacht werden sollten, sei dies unpräzise, da das Architekturbüro unter dem Namen ……… firmiere und als GmbH organisiert sei. Es werde aus dem zu  ersetzenden Beschlusstext nicht deutlich, ob die GmbH oder der vor Ort tätige Architekt und  dessen Tätigkeit Gegenstand der anwaltlichen Prüfung werden sollte.

Soweit sich die anwaltliche Prüfung auch auf Ansprüche gegenüber der Verwaltung erstrecken solle, fehle es an einer Vorbefassung der Eigentümerversammlung. Der mehrheitlich abgelehnte Antrag der Kläger verlange nur eine anwaltliche Prüfung gegenüber den verantwortlichen Bauunternehmen und den Architekten. Die Verwalterin werde hier nicht genannt. Ob die Mehrheit bei unterstellt schlüssig dargelegten Ansprüchen gegen die Verwalterin eine Rechtsverfolgung tatsächlich zwingend ablehnend entscheiden würde, könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Die Verwalterin wäre bei einer Abstimmung aufgrund ihrer Doppelfunktion als Verwalterin und als Wohnungseigentümerin vom Stimmrecht nach § 25 Abs. 5 ausgeschlossen. Insoweit sei das Abstimmungsergebnis nicht sicher vorhersehbar und eine Behandlung des  Tagesordnungspunktes in der Eigentümerversammlung keine nutzlose Förmelei. Das Gericht verkenne hierbei nicht, dass innerhalb der Gemeinschaft eine Lagerbildung gegeben sei.  Allerdings sei zu berücksichtigen, dass auch die Verwalterin als Miteigentümerin wirtschaftlich profitieren würde, wenn die WEG bei eigenen Fehlern Schadensersatz der Versicherung erhalten sollte. Selbst wenn die Alteigentümer in der Vergangenheit üblicherweise einheitlich abgestimmt hätten, sei vor diesem Hintergrund nicht auszuschließen, dass sich der eine oder andere doch  einmal zu einer Enthaltung entschließe, wobei die Klägerseite unter Berücksichtigung des  Stimmrechtsausschlusses durchaus die Mehrheit erreichen könnte.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 17.07.2019 zugestellte Urteil haben die Kläger zu  1) und zu 2) mit einem bei Gericht über beA am 09.08.2019 eingereichten Schriftsatz ihres  Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt. Die Berufung ist mit einem bei Gericht über beA am  16.09.2019 eingegangenen Schriftsatz begründet worden. Die Klägerin zu 3) hat keine Berufung  gegen das Urteil eingelegt.

Die Kläger zu 1) und zu 2) sind der Auffassung, dass es am 21.11.2018 aus Sicht eines vernünftigen und verständigen Eigentümers geboten gewesen sei, sich der Hilfe eines Rechtsanwaltes zu bedienen. Soweit das Amtsgericht ausgeführt habe, ein anwaltliches Vorgehen gegenüber Unternehmern, Architekten und dem Verwalter sei allenfalls Ultima Ratio, so sei dem zwar grundsätzlich zuzustimmen. Der zur Ersetzung begehrte Beschluss ziele daher auch nur auf eine Prüfung der Sach- und Rechtslage ab und nicht auf ein gerichtliches oder bereits außergerichtliches Tätigwerden. Insoweit sei das Ermessen der Wohnungseigentümer auf null reduziert. Ein Bauherr brauche sachkundige Hilfe, wenn solch massive Schäden vorlägen und zudem erkennbare Pflichtverletzungen gegeben seien, bei denen man allerdings nicht wisse, wem sie zuzurechnen seien, weil nicht einmal klar sei, wer in Bezug auf die Dachdeckerarbeiten Auftragsnehmer geworden sei (Herr M. oder die ….. GmbH). Diese Hilfe könne nur ein Rechtsanwalt liefern. Soweit das Amtsgericht damit argumentiere, dass die zur Ersetzung begehrten Beschlüsse sprachlich ungenau seien, überspanne das Gericht den Bogen Beschlüsse seien aus sich selbst heraus objektiv auszulegen. Da die Wohnungseigentümergemeinschaft hier nur ein Dach habe und dieses gerade vorher instandgesetzt bzw. saniert worden sei, werde auch für einen unbefangenen objektiven Betrachter deutlich, um welche Sanierung es gehe und welches Dach der WEG gemeint sei. Soweit das Amtsgericht moniere, der schillernde Begriff der Sanierung sei zu beanstanden, überzeuge auch dies nicht, da im Bauwesen klar sei, wie der bautechnische Begriff der  Sanierung zu verstehen sei. Soweit das Amtsgericht ferner meine, es werde nicht hinreichend deutlich, gegen wen sich die Prüfung der Ansprüche eigentlich richten sollte, so sei zu  berücksichtigen, dass nicht klar sei, wer Auftragsnehmer der Dachdeckerarbeiten geworden sei. Anders als das Amtsgericht meine, scheitere das Begehren auch nicht an einer fehlenden Vorbefassung. Die Entscheidung werde insoweit nicht den tatsächlichen Verhältnissen in der WEG gerecht. Schließlich stünden die Beklagten nahezu in Nibelungentreue zu der Verwalterin.

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Berufungsinstanz hinsichtlich des Beschlusses zu  der Nr. 84.3 und dem damit verbundenen Beschlussersetzungsantrag teilweise übereinstimmend  für erledigt erklärt haben, haben die Berufungskläger zuletzt beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Hamburg vom 10.7.2019 zum Az.: 539 C  30/18 wie folgt zu entscheiden:

Der Beschluss zur laufenden Nr. 84.2 der Versammlung der Eigentümer vom 21.11.2018:

„Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes namens und in Vollmacht der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Verfolgung von Mängelgewährleistungs- und  Schadensersatzansprüchen gegenüber den verantwortlichen Bauunternehmen und dem Architekten wird abgelehnt.“

wird für ungültig erklärt.

Der Beschluss zu TOP

 84.2 der Versammlung vom 21.11.2018 wird durch folgende Beschlüsse ersetzt:

1. Die Wohnungseigentümer beschließen im Sinne eines Grundlagenbeschlusses, einen Rechtsanwalt mit der Prüfung folgender Fragen zu beauftragen: Prüfung der Sach- und  Rechtslage im Hinblick auf etwaige Mängelgewährleistungsansprüche und/oder  Schadensersatzansprüche der WEG gegenüber den an  der Sanierung des Daches der  WEG beteiligten Gewerken und Personen, insbesondere den involvierten  Handwerksfirmen, dem Architekten und dem Verwalter.

2. Die Wohnungseigentümer beschließen: Der Verwalter wird bevollmächtigt und  angewiesen, sich von der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer drei Rechtsanwälte mit der Zusatzqualifikation „Fachanwalt für Baurecht“ vorschlagen zu lassen und bei diesen ein Angebot einzuholen für die Prüfung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf etwaige  Mängelgewährleistungsansprüche und oder Schadensersatzansprüche der WEG  gegenüber den an der Sanierung des Daches der WEG beteiligten Gewerken und  Personen, insbesondere den involvierten Handwerksfirmen, dem Architekten und dem Verwalter. Sobald die drei Angebote vorliegen, soll der Verwalter unverzüglich eine außerordentliche Versammlung einberufen mit dem Tagesordnungspunkt der  Beauftragung eines Rechtsanwaltes.“

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen die Entscheidung des Amtsgerichts. Eine Ermessensreduzierung auf null sei nicht gegeben. Auch wenn der Bauvertrag eine mehrdeutige Bezeichnung des  Auftragnehmers enthalte (Dachdeckermeister M./….GmbH), sei für die  Wohnungseigentümer am 21.11.2018 klar gewesen, dass das Unternehmen, das nach der  Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH mit der Ausführung der  Dachdeckerarbeiten begonnen habe, nicht die insolvente …. GmbH gewesen sein  könne. Zudem habe Herr M….. im unmittelbaren Vorfeld vor der Eigentümerversammlung vom  21.11.2018 die in der Versammlung thematisierte Bestätigung abgegeben, dass er den  Bauvertrag als Inhaber der Einzelfirma Dachdeckermeister M… abgeschlossen habe und für alle aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen vollumfänglich einstehe. Darüber hinaus  habe Herr M… ausdrücklich bestätigt, dass für sein Einzelunternehmen eine  Betriebshaftpflichtversicherung bei der … Versicherung bestanden habe, zu der von der Verwalterin zum damaligen Zeitpunkt bereits Kontakt aufgenommen worden sei. Erst Monate später habe der Versicherer der Verwalterin mitgeteilt, dass für diesen Schadensfall kein  Deckungsschutz gewährt werde.

Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung sei es in erster Linie darum gegangen, das Dach möglichst schnell für den Winter dicht zu bekommen. Dabei hätten sich alle Beteiligten darüber im Klaren  sein müssen, dass es nahezu unmöglich gewesen wäre, kurzfristig ein anderes  Dachdeckerunternehmen ausfindig zu machen, falls Herr M. seine Leute aufgrund einer  Auseinandersetzung mit der WEG von der Baustelle abberufen hätte. Vor diesem Hintergrund sei das Ermessen der Wohnungseigentümer keineswegs dahingehend eingeschränkt, dass nur eine sofortige Einschaltung eines Anwalts noch ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen habe. Viel entscheidender sei stattdessen gewesen, zunächst einmal mit Hilfe der eingeschalteten Sachverständigen, dem Architekten und der Firma M. dafür zu sorgen, dass die ermittelten  Schadensursachen und die festgestellten Mängel der bis dahin durchgeführten Arbeiten abgestellt  würden. Auch eine Beschlussersetzung komme nicht in Frage. Neben der fehlenden Vorbefassung stehe dem auch entgegen, dass Beeinträchtigungen aufgrund der mangelhaften Abdeckung des Daches nur noch im Bereich des Sondereigentums der Kläger vorhanden seien. Insoweit hätten die Kläger zu 1) und zu 2) jedoch längst eine gerichtliche Klärung eingeleitet, indem sie beim Landgericht Hamburg eine Klage gegen den Dachdeckermeister M.  und die beteiligte Architekten GmbH eingereicht hätten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beauftragung des Sachverständigen S. sowie Verwertung  des von der Sachverständigen Sch. in dem Verfahren 328 O 118/19 erstellten Gutachtens vom 21. Februar 2023 und durch mündliche Erläuterung des Gutachtens  durch die Sachverständige (§ 411a ZPO). Wegen des Ergebnisses wird auf die Erläuterungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 01.11.2023 in dem Verfahren 318 O 91/19 verwiesen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze  nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat im tenorierten Umfang Erfolg.

1. Soweit die Klage auf eine Beschlussanfechtung (Antrag zu 1.) gerichtet ist, sind nach Maßgabe  von § 48 Abs. 5 WEG (in der seit dem 01.12.2020 geltenden Fassung) die Vorschriften der §§ 43  ff. WEG a.F. weiterhin anzuwenden. Aus diesem Grunde sind die „übrigen Eigentümer“  unabhängig von der im laufenden Verfahren erfolgen Reform des Wohnungsgeigentumsgesetzes weiterhin die richtigen Klagegegner (§ 46 Abs. 1 S. 1 WEG a.F.). Für die Beschlussersetzungsanträge (Anträge zu 2.) gelten ebenfalls die §§ 43 ff. WEG a.F., was sich  aus einer entsprechenden Anwendung des § 48 Abs. 5 WEG ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 25.  Februar 2022 – V ZR 65/21, Rn. 21 nach juris).

2. Die Anfechtung des zur Nummer 84.2 gefassten Beschlusses ist begründet. Entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts ist ein Positivbeschluss, der eine negative Regelung zum  Inhalt hat, nicht mit einem Negativbeschluss gleichzusetzen. Während ein Negativbeschluss keinerlei Sperrwirkung für die Zukunft entfaltet und nur die Ablehnung des konkret gestellten Antrags zum Gegenstand hat, reichen die Wirkungen eines negativ formulierten  Positivbeschlusses deutlich weiter (siehe hierzu BeckOK WEG/Bartholome , WEG § 23, Rn.  33-35; Vandenhouten, in: Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl. 2020, §  23, Rn. 65). Wird ein negativ formulierter Antrag wie im vorliegenden Fall positiv beschieden, bindet das die Wohnungseigentümer und die Gemeinschaft, dass auch zukünftig eine Änderung  in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in Bezug auf den Beschlussgegenstand nicht eintreten  soll bzw. wird. Anders als bei einem echten Negativbeschluss ist daher auch ein  Regelungsgehalt dahingehend gegeben, nicht tätig werden zu wollen (BeckOK  WEG/Bartholome , WEG § 23, Rn. 34). Ausgehend hiervon widerspricht der angefochtene  Beschluss den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung. Denn der gewählte Beschlusstext enthält keinerlei zeitliche (wie z.B. „derzeit“) oder sachliche Einschränkung. Bei gebotener objektiv-normativer Auslegung hat der Beschluss daher den Regelungsgehalt, eine Verfolgung  von Mängelgewährleistungs- und Schadensersatzansprüchen durch einen Rechtsanwalt generell  abzulehnen und hiervon auch zukünftig grundsätzlich absehen zu wollen. Dies lässt sich mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung nicht vereinbaren. Denn es widerspricht  ordnungsgemäßer Verwaltung, sich gegen eine Verfolgung von Ansprüchen zu entscheiden,  wenn solche erkennbar in Betracht kommen und nicht aus besonderen Gründen Anlass besteht, auf die hiernach möglichen Ansprüche zu verzichten (vgl. für die Verwalterentlastung Niedenführ,  in: Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl. 2020, § 28, Rn. 383).

Im vorliegenden Fall war zum Zeitpunkt der Beschlussfassung unstreitig aufgrund einer  unzureichenden Abdeckung des Daches im Zuge der Sanierung Regenwasser in das offen  liegende Gebäude eingedrungen. Aufgrund des bei Beschlussfassung bereits vorliegenden  Kurzgutachtens des Sachverständigenbüros A. und H vom 13.11.2018 konnten für  die Wohnungseigentümer keine Zweifel verbleiben, dass Mängelgewährleistungs- und  Schadensersatzansprüche wegen einer Beeinträchtigung des Gemeinschaftseigentums  gegenüber den an der Dachsanierung beteiligten Handwerksfirmen genauso ernsthaft in Betracht  zu ziehen waren wie gegenüber dem Architekturbüro, das die Sanierungsmaßnahme zu begleiten hatte. Selbst wenn es – wie das Amtsgericht meint – zum Zeitpunkt der  Beschlussfassung noch vertretbar gewesen sein mag, zunächst von der Beauftragung eines Rechtsanwaltes abzusehen, um die Fortsetzung der Instandsetzungsarbeiten nicht zu  gefährden, widersprach es bei dieser Sachlage jedenfalls den Grundsätzen ordnungsgemäßer  Verwaltung, einen Beschluss zu fassen, mit dem eine Rechtsverfolgung ohne jede zeitliche oder  sachliche Einschränkung im Wege eines Positivbeschlusses abgelehnt wird.

3. Auch das Beschlussersetzungsbegehren hat Erfolg. Die Beschlussersetzungsklage dient der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige  Verwaltung; durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz haben sich insoweit keine  Änderungen ergeben (BGH, Urteil vom 16. September 2022 – V ZR 69/21, Rn. 8, nach juris). Die Klage ist daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den  seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss hat, weil nur eine Beschlussfassung  ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung und damit auch in Übergangsfällen – wie hier – auf das neue materielle  Recht (vgl. Urteil vom 16. September 2022 – V ZR 69/21, Rn. 8, nach juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Beschlussersetzungsklage begründet. Nach der  durchgeführten Beweisaufnahme hat die Kammer keine Zweifel, dass die Kläger zum hier  maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung einen Anspruch darauf  haben, dass ein Fachanwalt für Baurecht mit der Prüfung von Ansprüchen gegenüber den an der  Sanierung des Daches beteiligten Handwerksfirmen, dem Architekturbüro und der Verwalterin  beauftragt wird. Im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung ist sicherzustellen, dass ernsthaft in Betracht zu ziehende Ansprüche wegen einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums verfolgt werden. Hiervon ausgehend ist es zum jetzigen Zeitpunkt  aus Sicht der Gemeinschaft zwingend geboten, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen, da ernsthaft  zu befürchten ist, dass auf die Gemeinschaft wegen des Wassereintritts im Zuge der  Instandsetzung des Daches erhebliche Kosten für eine gebotene Sanierung des  gemeinschaftlichen Eigentums zukommen werden.

Entgegen der Behauptung der Beklagten steht auch nicht etwa fest, dass nach dem  Wassereintritt, nur noch das Sondereigentum der Kläger instand zu setzen wäre. Vielmehr hat die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, dass es starke Indizien dafür gibt, dass nach dem  Wassereintritt auch Bereiche des Gemeinschaftseigentums im 2. Obergeschoss und im  Dachgeschoss von Schimmelbefall betroffen sein könnten. Die Sachverständige Sc hat auf der Grundlage der von ihr im räumlichen Bereich des Sondereigentums der Kläger  entnommener Proben nachvollziehbar dargelegt, dass sie aufgrund ihrer langjährigen beruflichen  Erfahrung vermute, dass an einigen Stellen im Dachbereich oberhalb der Gipskartonplatten Feuchtigkeit und Schimmel vorhanden sein könnten. Auszuschließen sei dies jedenfalls nicht. Diese Ausführungen sind aus Sicht der Kammer plausibel. Denn zu berücksichtigen ist, dass sich das eingedrungene Wasser seinen Weg über verdeckte Teile des Gemeinschaftseigentums  in den räumlichen Bereich des Sondereigentums der Kläger gesucht haben muss. Ferner stehen die Ausführungen der Sachverständigen auch im Einklang mit den bereits vorliegenden  Gutachten. So hat auch das Sachverständigenbüro A. und H. in dem Kurzgutachten vom 13.11.2018 deutlich darauf hingewiesen, dass es in verdeckten Bauteilen zu unbemerkten  Folgen von Durchfeuchtungen kommen kann, wenn das Bauteil nicht oder nur sehr verzögert  austrocknet (vgl. Seite 7 des Gutachtens). Auch der Sachverständige Dr. P. hat auf Schimmelbelastung an der hinter den Gipskartonplatten liegenden Dachlattung hingewiesen.

Bei dieser Sachlage kann nur die Beauftragung eines fachkundigen Rechtsanwaltes gewährleisten, dass der Gemeinschaft keine Ansprüche verloren gehen.

Im Zuge dessen besteht auch ein Anspruch darauf, dass etwaige Ansprüche gegen die damalige  Verwalterin geprüft werden, die den Auftrag an die … GmbH bzw. den  Dachdeckermeister M. im Namen der Gemeinschaft vergeben hat. Einer dahingehenden Beschlussersetzung steht entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch nicht eine mangelnde Vorbefassung der Wohnungseigentümer entgegen. Zwar ist die Frage, ob auch Ansprüche gegen die Verwalterin durch einen zu beauftragenden Rechtsanwalt geprüft werden sollen, nicht im Rahmen einer Eigentümerversammlung zur Abstimmung gestellt worden. Das  Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschlussersetzung fehlt trotz fehlender Vorbefassung aber immer dann nicht, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen  werden kann, dass der Antrag in der Eigentümerversammlung nicht die erforderliche Mehrheit  finden wird, so dass die Befassung der Versammlung eine unnötige Förmelei wäre (BGH, Urteil  vom 15. Januar 2010 – V ZR 114/09, Rn. 15 nach juris). So liegt der Fall hier. Die übrigen Wohnungseigentümer sind erkennbar nicht gewillt, sich der Folgen des im Zuge der  Dachsanierung erfolgten Wassereintritts entsprechend den Grundsätzen ordnungsgemäßer  Verwaltung anzunehmen. Sie beharren vielmehr bis zuletzt auf ihrem Standpunkt, es sei das Sondereigentum der Kläger betroffen, so dass allein diese – auf eigene Kosten – tätig werden  müssten.

Die Kammer war hier auch befugt, den zu ersetzenden Beschluss geringfügig abweichend von dem klägerischen Antrag zu formulieren. Hat der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf eine Beschlussfassung, wird bei der Beschlussersetzungsklage das den  Wohnungseigentümern zustehende Ermessen durch das Gericht ausgeübt. Prozessual wird der gerichtlichen Ermessensausübung dadurch Rechnung getragen, dass – anders als nach der  allgemeinen Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO – die Angabe des Rechtsschutzziels genügt  (BGH, Urteil vom 16. September 2022 – V ZR 69/21, Rn. 9 nach juris). An den Wortlaut eines konkreten Klageantrages ist das Gericht daher nicht gebunden und abweichend von diesem  ermächtigt, diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die nach billigem Ermessen notwendig sind, um  dem Rechtsschutzziel des klagenden Eigentümers zu entsprechen (BGH, a.a.O.). Dem ist die Kammer vorliegend durch die vorgenommene Beschlussersetzung nachgekommen.

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