Die Online- oder Hybridversammlung

Das “neue WEG” ist jetzt seit über zwei Jahren in Kraft. Manche offenen Fragen aus dem Gesetz sind beantwortet, manche harren noch ihrer Klärung durch den BGH. Und manche Themen sind einfach praktisch umgesetzt und gelöst worden.

Eine der wesentlichen Neuerungen des WEMoG war die Einführung der Möglichkeit einer sog. Hybridversammlung. Nach dem urprünglichen WEG war Wohnungseigentumsrecht fast gleichzusetzen mit Basisdemokratie. Und die Willensbildung fand in Versammlungen statt, in denen alle Wohnungseigentümer zusammenkamen. Nur in Ausnahmefällen waren schriftliche Beschlüsse möglich, aber auch nur dann, wenn ALLE Eigentümer dem zustimmten.

Diese Versammlung ist immer noch das Plenum, in dem auch weiterhin die Willensbildung stattfindet, denn in § 23 Abs. 1 WEG heißt es, dass die zu beschließenden Themen”…durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet” werden. Die Keimzelle eines jeden Beschlusses ist grundsätzlich also die Versammlung.

Der neue § 23 Abs. 2 WEG erweitertert aber die Teilnahmemöglichkeiten: Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.

In der Beratungspraxis taucht immer wieder die Frage auf, ob es eigentlich auch reine Onlineversammlungen geben könne. Ob der Verwalter also auf einen Versammlungsraum verzichten und den Eigentümern einfach Zugangsdaten für eine Onlineversammlung schicken könne. Und das läßt sich einfach beantworten: Wenn die Teilungserklärung so etwas nicht vorsieht (dazu gleich), ist das nicht möglich. Denn der Wortlaut des § 23 I 2 WEG ist eindeutig: Es geht um die elektronische Teilnahme an einer Versammlung ohne Anwesenheit an deren Ort. Es muss also eine “physische” Versammlung stattfinden, es muss einen Ort geben, an dem sich mindestens der Verwalter aufhält und zu dem auch alle anderen Eigentümer kommen können. Und zu diesem Ort können sich Eigentümer “zuschalten”.

Damit das geht, braucht es aber zunächst einen Beschluss. Nach meiner Erfahrung haben die meisten Gemeinschaften solche generellen Beschlüsse zwischezeitlich umgesetzt. Und so gibt es mit den Einladungen zur Versammlung entweder gleich die Zugangsdaten für die Online-Teilnahme. Oder mit der Einladung erfolgt der Hinweis, dass entsprechende Zugangsdaten auf Anfrage zur Verfügung gestellt würden.

Was nicht beschlossen werden kann, ist die Abschaffung der Präsenzversammlung und der Ersatz durch eine reine Online-Versammlung. Dazu fehlt die Eigentümern die Beschlusskompetenz. Ein solcher Beschluss wäre nichtig. Und die Einladung zu einer reinen Onlineversammlung ohne die Möglichkeit einer physischen Teilnahme würde gegen fundementale Mitgliedschaftsechte verstoßen, so dass auf einer solchen Versammlung gefaßte Beschlüsse ggf. sogar nichtig, in jedem Falle aber anfechtbar wären.

Aber: Wenn die Möglichkeit einer reinen Online-Versammlung in der Gemeinschaftsordnung vorgesehen ist, wäre eine solche zulässig. Und sind sich heute alle Eigentümer in einer Gemeinschaft einig, könnten sie die Gemeinschaftsordnung dahingehend ändern, dass zumindest auch reine Onlineversammlungen zulässig wären. Und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis in ersten Teilungserklärungen der Notare solche Klauseln auftauchen. Man mag darüber nachdenken, ob es nicht zumindest die Möglichkeit geben müßte, zumindest einmal jährlich auf einer Präsenzversammlung zu bestehen. Aber das ist Zukunftsmusik.

Nachtrag vom 10.1.2023

In der Bundestagsdrucksache 20/2056 antwortet die Bundesregierung auf die Frage des Abgeordneten Luczak, ob die Einführung reiner Onlineversammlungen geplant sei, dass aus Sicht der Bundesregierung gegen die Durchführung reiner Online-Versammlungen nichts spreche, wenn alle Eigentümerinnen und Eigentümer damit einverstanden sind. Schon derzeit sei es möglich, dass die Wohnungseigentümer eine entsprechende Vereinbarung träfen. Darüber hinaus erwäge die Bundesregierung, eine gesetzliche Beschlusskompetenz für die Wohnungseigentümerversammlung zu schaffen, durch einstimmigen Beschluss die Durchführung reiner Online-Versammlungen zu beschließen, wenn sie hinsichtlich der Teilnahme (Zwei-Wege Audio- und Videoverbindung in Echtzeit) und Rechteausübung mit Präsenzversammlungen vergleichbar sind. Ein entsprechender Referentenentwurf sollte im Laufe des Jahres 2022 vorgelegt werden.

Soweit ersichtlich, liegt ein solcher Entwurf bisher nicht vor. Vielmehr haben sich neun größere Verwaltungsunternehmen in einem offenen Brief an den Justizminister gewandt, und die Einführung der reinen Online-Versammlung gefordert. Sie finden diesen Brief auf der Website des Haufe-Verlages hier. Warten wir also mal ab, was der Gesetzgeber nun daraus macht. Ich persönlich würde es für problematisch halten, wenn die Einführung reiner Online-Versammlungen mehrheitlich beschlossen werden könnte. Die Antwort der Bundesregierung spricht denn ja auch von einem “einstimmigen Beschluss”. Eine interessante neue Mehrheit, die da im Gesetz ihren Niederschlag finden würde, allerdings mit dem Vorteil gegenüber der Vereinbarung, dass ein solcher Beschluss, obwohl er die Gemeinschaftsordnung ändern würde, nicht im Grundbuch eingetragen werden müßte.

Nachtrag vom 7.6.2023

Jetzt liegt ein Referentenentwurf zur reinen Onlineversammlung vor, bezeichnet als “virtuelle Wohnungseigentümerversammlung”. Näheres finden Sie in diesem Artikel.